Die Architektur

Architektur ist das Thema, daß wahrscheinlich von den meisten Menschen absolut unterschiedlich gesehen wird.

Für den einen zählt die Kunst, für den anderen die Wirtschaftlichkeit. Für den Dritten die Genehmigungsfähigkeit, für den Vierten die Machbarkeit, für den Fünften und heute meistens am Schluß die Gestaltung.

Aufgabe des Architekten ist es, all diese Dinge in einem Gebäude zu vereinen und zwar unter einen Schwerpunkt: dem Menschen. Den "Genius Loci", d.h. den Ort, zu prägen und trotzdem zu versuchen, dem Ort an dem das Gebäude steht, eine unverwechselbare Identität zu geben, gleichfalls den Nutzern und Besuchern den Eindruck zu vermitteln, daß das - und nur das - an diesem Ort zu realisieren war und genau dies ist das Ziel einer demokratischen Architektur.

Als demokratische Architektur verstehe ich genau diese Symbiose zwischen den eigentlich sich widersprechenden Eigeninteressen der am Bau beteiligten. Es ist unrealistisch für ein Gebäude, das man als Architekt errichtet, 100% Zuspruch zu erhalten bzw. eine kritiklose Akzeptanz.

Zumindest eine Mehrheit, d.h. mehr als 50% müssen ein Gebäude akzeptieren, damit ein gewisser Restbereich, den eigentlich die Mehrheit ablehnt, dazu führen kann, die Architektur weiterzuentwickeln.

Zurück nach Jena

Der Erfolg Jenas gründet sich auf den Umstand, wie Herr Dr. Röhlinger dies einmal in einem Satz zusammenfaßte:
Es ist wichtig, die Gräben zu überwinden.
Die Gräben zu überwinden bedeutet, die Gräben zwischen verschiedenen Interessen, verschiedenen Parteien, verschiedenen Meinungen, wie letzten Endes zwischen Ost und West, denn die Sache ist das Ziel und nicht Prinzipien.

Zurück zum Holzmarkt

Die berechtigte Kritik an Gebäuden rührt oft nicht daher, daß der Architekt falsch geplant hat, sondern viel öfter daher, daß er nicht in der Lage war bzw. die Rahmenbedingungen der Gesellschaft eine andere Planung nicht zugelassen haben.
Hier genügt es manchmal, daß nur einer der beteiligten, ausgerüstet mit der nötigen Macht, in dem er seine Interessen durchzusetzen, ein Objekt derart verunstalten kann, daß für keinen Betrachter das Ergebnis nachvollziehbar ist.

Zurück zur Holzmarkt-Passage

Die Bausumme spiegelt nicht die Komplexität des Projektes wieder, denn in dem Projekt sind viele Themen zusammenzuführen, die bei einem Regelbauvorhaben überhaupt nicht auftreten.

Sachzusammenhänge bzw. Fachbegriffe, wie Höhe unter Fahrdraht, Deckelbauweise, Gleichrichterunterwerk, Sachenrechtsbereinigungsgesetz, Induktionshauben, Druckkammerboden bis hin zu einem banalen Begriff wie Putzbeleuchtung, Insider Wissen, was hiermit gemeint ist, mußten erarbeitet, erklärt und umgesetzt werden.

Ich will Sie nicht mit Zahlen oder den üblichen sachlichen Wiederholungen bautechnischer Zusammenhänge langweilen.

Die Herausforderung des Projektes Holzmarkt bestand darin, alle Menschen, die mit diesem Projekt am Rande oder direkt betroffen sind, so zu einer Einheit zusammenzuschweißen, daß am Ende alle beteiligten zufrieden sind und man dies dem Gebäude auch ansehen kann.

Deshalb möchte ich auf die Menschen eingehen, die meiner Meinung nach zu diesem Ergebnis, was Sie heute beziehen, begutachten, bezahlt gebaut, genehmigt, gezeichnet, bezogen, vermietet, gemietet, kalkuliert, aber auch abgelehnt, verzögert oder behindert haben.

Zurück zu den Menschen

Zum Glück war durch den Bauherrn festgelegt, daß - sofern möglich - im wesentlichen Jenaer Firmen bw. Firmen im Umland die Arbeiten ausführen sollten, was auch durchgehalten wurde. Mit der ARGE STRABAG - DYWIDAG mit Niederlassung in Jena wurde bei allen Dissonanzen trotzdem immer ein Konsenz gefunden.

Herzlich gemeinte Titulierungen, wie Besatzer, blöder Wessi, blöder Ossi usw. haben jedoch nach kurzer Zeit dazu geführt, daß diese Oberflächlichkeiten nicht mehr zählten.

Man sollte glücklich sein, daß hier bei allen Differenzen zwischenzeitlich an einer gemeinsamen Zukunft und nicht mehr an einer gegenseitigen Vernichtung arbeiten.

All diese Dinge sind von teilweise aus meiner Sicht unsachlichen Kritik von den Menschen in Ost und West viel zu schnell vergessen worden. Zu leicht wird wegen den kleinen Problemen des Tagesgeschäftes die große Linie verloren. Hierin jedoch sehe ich die Aufgabe, insbesondere der Politik, aber auch jedes einzelnen in seinem Bereich seine Tätigkeit nicht nur als Beruf, sondern als Berufung zu sehen und nur dann sind die erstrebenswerten Ziele erreichbar.

Als Architekt bin ich in Jena jetzt seit 1990 tätig. Es waren die bisher prägendsten Jahre meiner beruflichen Tätigkeit.

Der ungebrochene Wille der SAB als Initiator, das Richtige zu tun, und dabei in Harmonie alle Interessen zu vereinen, hat aus meiner Sicht in erster Linie zum Projektergebnis geführt.

Der Bauherr hat seine Macht nicht ausgenutzt, sondern diese auf die am Bau Beteiligten so verteilt, daß nur ein gutes Ergebnis erzielt werden konnte.

Allein die Zeit darüber nachdenken zu müssen, wie man sich selbst verteidigt, genügt oft, eine akzeptable Lösung zu finden.
Ich denke, dieser Ansatz ist auf fast alle Lebensbereiche übertragbar.

Für mich ist die Holzmarkt-Passage ein reales und positives Stück Wiedervereinigung und wenn ich Sie mit meinen bescheidenen Worten in dieser Richtung angeregt habe nachzudenken, hätte ich als Architekt vermutlich meine Aufgabe erfüllt.

Arno Wagner
Architekt